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Zum 10. Mal zu Gast im Palais Coburg: Das Konventikel Eins hat am 7. und am 21.3.2023 interessierte Weinfreund*innen zu einer außergewöhnlichen Blindverkostung in das Weinarchiv des Palais eingeladen. 12 ausgesuchte Weine, "Bordeaux von der Schule bis zur Frühpension", wie der Titel der Verkostung lautete, begeisterten jeweils 15 Teilnehmer*innen. Und ließen so manche und manchen ob der unglaublichen Langlebigkeit dieser Weine staunen. 

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In insgesamt fünf Gewölbekellern beherbergt das Palais Coburg 6.500 verschiedene Weine in rund 60.000 Flaschen aus allen Weingegenden der Welt aus vier Jahrhunderten. Mit einem derzeitigen Wert von rund 22 Millionen Euro. In einem der größten Weinkeller Europas waren die St. Urbanus Weinritter übrigens bereits zum 10, Mal bei einer derartigen Verkostung, diesmal - dem runden Jubiläum entsprechend - mit Weinen aus Bordeaux. Die französische Stadt mit Zugang zum Meer über die Flüsse Garonne und Gironde produziert in seiner Umgebung auf über 130.000 ha mehr Wein in Spitzenqualität als jedes andere Weinbaugebiet. Auf nur 5% dieser Rebfläche werden die teuersten und gesuchtesten Weine der Welt vinifiziert. Hauptrebsorte ist der Cabernet Sauvignon, der am linken Flussufer dominiert, während der Merlot am rechten Ufer rund um die Stadt Saint Emilion die bevorzugte Rebsorte darstellt. Coburg-Chefsommelier Wolfgang Kneidinger führte die Verkoster entlang beider Ufer - und durch die Jahrzehnte.

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Verkostet wurde in Zweierflight, wobei es gleich beim ersten eine Überraschung gab. Beide Weine, sowohl der Quinault l'Enclos (70% ME) aus Saint Emilion (rechtes Ufer) 2016 mit 13,5 Vol% als auch der Talbot (65% CS) aus Saint Julien (linkes Ufer) 2016 mit ebenfalls 13,5 Vol% zeigten sich fruchtig, mild, rund und sehr trinkfreudig. Was ob ihrer Jugend doch einigermaßen erstaunte. "Wir erkennen in den vergangenen zehn Jahren einen klaren Stilwechsel im Bordeaux", erläuterte Kneidinger. "Die Weine werden konsumentenfreundlicher und rascher trinkbar ausgebaut. Musste man früher jahrelang auf die richtige Trinkreife warten, so ist das nun nicht mehr nöitg. Allerdings werden diese Weine wohl auch keine 40 und mehr Jahre halten."

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Quinault l'Enclos in St. Emilion ist ein sehr kleines Chateau, das über uralte Rebbestände und ein hervorragendes Terroir verfügt. Dank des Ehrgeizes von Dr. Alain Reynaud gelang in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre der Durchbruch an die Spitze des Saint Emilions. Und seit 2012 ist dieses Chateau in den Olymp der höchsten Saint-Emilion-Klassifikation aufgestiegen. Talbot in St. Julien verdankt seinen Namen dem Grafen von Shrewsbury, Connétable Talbot. Er war Gouverneur von Guyenne und ein berühmter englischer Feldherr, der 1453 in der Schlacht von Castillon besiegt wurde. 1855, zur Zeit der von Kaiser Napoleon III. angeordneten Klassifizierungen von Médoc und Graves, wurde Château Talbot als vierter klassifizierter Anbau von Saint-Julien gefördert. Mehrere Jahrzehnte lang gehörte es dem
Marquis von Aux und wurde 1918 von Désiré Cordier erworben. Die 110 Hektar des Weingutes Château Talbot umgeben das Gutshaus und erstrecken sich bis zur Grenze der Appellation Pauillac. 

Im nächsten Flight eröffnete Haut-Bagnes Liberal aus Pauillac (linkes Ufer) und zeigte sich jugendlich und rassig, was ob des Jahrgangs 2015 mit 13 Vol% nicht weiters verwunderte. Seit der Klassifikation von 1855 ist das Weingut als Cinquième Grand Cru Classé eingestuft. Zum einen ist Libéral der Name der Gründerfamilie des Gutes, zum anderen verweist der Namensteil Haut-Bages auf den höchsten Punkt eines Plateaus mit der Bezeichnung Bages. Das Plateau Bages liegt zwischen den Gemeinden
Pauillac und Saint-Julien-Beychevelle. Mit ca. 28 ha ist das Weingut mittelgroß, 70 % der Fläche sind mit Cabernet Sauvignon und 30 % mit Merlot bestockt. Das Château erzeugt in mittleren Jahren ca. 180.000 Flaschen Rotwein. 

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Im 2. Glas dann aber die nächste Überraschung: der gleiche Wein, ein Haut-Bages Liberal, allerdings aus dem Jahr 1982! Ein kräftig, erdiger Wein, trotz seiner nur 12,5 Vol% und seiner 41 Jahre. Keinerlei Alterston, ein echter Trinkgenuss. Und das auf der Coburg-Karte um lediglich € 290,-. Allerdings sollte man den Wein, wie bei dieser Verkostung, vier Stunden vorher dekantieren.

Weiter ging's mit zwei Weinen, die sich als gleicher Jahrgang, nämlich 2005, entpuppten. Beide auch noch sehr ruppig, streng. ledrig und druckvoll. Zum einen der Rauzan-Ségla (60% CS, 30% ME) aus Margaux (linkes Ufer) mit 13,5 Vol%, zum anderen der Certan de May (80% ME, 5% CF) aus Pomerol (rechtes Ufer). Das Weingut liegt in der Gemeinde Margaux im Médoc. Bei der Bordeaux-Klassifizierung im Jahre 1855 erhielt es den zweiten Rang (Deuxième Cru Classé). 1661 kaufte der Händler Pierre des Mesures de Rausan (Rauzan) der Familie de Gassies einen großen Landbesitz ab. Daraus entstanden in der Folge die Weingüter Château Desmirail, Château Marquis-de-Terme und eben Château Rauzan. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde 1792 das Château Rauzan in die zwei Weingüter Château Rauzan-Gassies und Château Rauzan-Ségla aufgeteilt. Der Name ergab sich von der neuen Besitzerin Madame Ségla, einer Nachfahrin des Gründers. Das Gut blieb bis 1866 in den Händen der Familie. 1994 wurde es in die Kapitalgesellschaft Château Rauzan-Ségla S.A. (einer Tochtergesellschaft der Parfum-Gruppe Chanel) übergeleitet. 

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Certan de May befindet sich auf dem berühmten Plateau von Pomerol, das für seine fantastischen Böden bekannt ist. Mit Petrus, Vieux Château Certan und Le Pin hat das gerade mal 5 Hektar große Chateau Certan de May prominente Nachbarn. Kein Wunder also, dass auch hier Jahr für Jahr Spitzenqualitäten produziert werden, wenn auch in geringem Ausmaß. Gerade einmal 2000 Kisten verlassen Chateau Certan de May - eine absolute Rarität also. Und ein Wein, der auch nach Jahren noch viel Freude machen könnte.

Fast zehn Jahre zurück ging es dann mit den nächsten Weinen: Gruaud Larose (60% CS, 30% ME, 10% CF) aus St. Julien (linkes Ufer) und Smith Haut Lafite (55% CS, 35% ME, 10% CF) aus Pessac-Leognan (ebenfalls linkes Ufer), beide aus dem Jahr 1996. Gruaud Larose liegt im Médoc. Seit der Klassifikation von 1855 ist es als Deuxieme Grand Cru Classé eingestuft, der zweithöchsten Stufe der Klassifikation. Einer der schönsten Gärten des Médoc umsäumt das Weingut. Das Gutshaus selbst ist eines der fast schon typischen zweistöckigen, mehrflügeligen herrschaftlichen Häuser. 1757 kaufte der Bordelaiser Winzer Gruaud mehrere kleine Parzellen auf dem Hochplateau von Saint-Julien-Beychevelle auf und vereinte sie zum Château Gruaud. Sein Neffe, Sébastien Larose, taufte es schließlich in Château Gruaud-Larose um. Nach seinem Tod erfolgte eine Teilung in die zwei Weingüter Château Gruaud-Larose-Sarget und Château Gruaud-Larose-Faure, 1934 vereinte Désiré Cordier die beiden Güter wieder. Beeindruckende 129 Hektar umfasst das Gut heute. 

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Bis ins Jahr 1365 reichen die Wurzeln von Château Smith Haut Lafitte zurück, denn schon damals soll an dieser Stelle ein "Maison
Noble du Bosq" gestanden haben. Eine Urkunde von 1720 belegt, dass es damals 1,6 ha Rebflächen gab. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird der Wein dank eine schottischen Besitzers mit Namen George Smith bis nach England exportiert. Seit 1990 ist
das Chateau im Besitz von Florence und Daniel Cathiard, die sehr viel investierten und dem Château seine heutige Form gaben. Die Weinberge bestehen heute aus 67 Hektar, 18.000 Kisten Wein werden jährlich hergestellt. 

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Apropos weit zurück: auch die nächsten Weine führten wieder weitin die Vergangenheit, und zwar ins Jahr 1986. Beide zeigten sich mit dem typischen Schweißgeruch, trotz ihres alters immer noch erdig und druckvoll. Und zwar handelte es sich dabei um Lynch-Bages aus Pauillac (linkes Ufer) mit 12,5 Vol% und La Mission-Haut-Brion, wie Château Smith Haut Lafitte aus Pessac-Leognan (linkes Ufer) mit ebenfalls 12,5 Vol%. Das Château Lynch-Bages wurde als eines von achtzehn Gütern als Cinquième Cru Classé (Fünftes Gewächs) in der offiziellen Bordeaux-Klassifikation von 1855 aufgenommen. Die 90 Hektar von Château Lynch-Bages liegen direkt außerhalb der Stadt Pauillac. La Mission-Haut-Brion gehört in der Graves-Klassifizierung von 1953 zu den Crus Classés. Auf einzigartig steinigem Boden gelegen, erstreckt sich die Weinbergsfläche über fast 21 Hektar zwischen den beiden Teilen in Pessac und Léognan, jährlich werden durchschnittlich 6.000 bis 7.000 Kisten (540 bis 630 hl) dieses Grand Vin La Mission Haut-Brion produziert. 

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Château Pichon Longueville aus Pauillac (linkes Ufer) mit 12,5 Vol% war die Überraschungsflasche des Palais Coburg. Aus dem Jahr 1990, ein Grand Cru, ledrig, erdig, nach Moos und Wald duftend, druckvoll und keineswegs alt am Gaumen, ein echter Genuss. Der nur durch den Abschlusswein getoppt wurde, bei dem niemand auch nur annähernd sein wahres Alter erriet. Château Montrose aus St. Estephe (ebenfalls linkes Ufer) mit 12,5 Vol%, aber unglaublichen 53 Jahren!  Richtig: es war ein Jahrgang 1970, der im Palais Coburg mit € 320,- auf der 5.000 Weine umfassenden Weinkarte steht. Was angesichts der Jahre und der Besonderheit durchaus als Schnäppchen bezeichnet werden kann.

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Montrose liegt in einer herrlichen Ufer-Hügellage über dem Mündungstrichter Gironde in der Gemeinde Saint-Estèphe im Médoc. Der Name bedeutet „rosenfarbener Berg“ und leitet sich von der Farbe des eisenhaltigen Bodens ab. Bei der Bordeaux-Klassifizierung im Jahre 1855 erhielt das Gut den zweiten Rang (Deuxième Cru Classé). Die Geschichte des Weinguts ist im Vergleich zu anderen umliegenden Châteaux vergleichsweise jung. Durch die Lage an der Gironde wurde das Land erst spät trocken gelegt und urbar gemacht. Der Ursprung geht auf das Jahr 1778 zurück, als die Familie Ségur Ländereien an Etienne Théodore Dumoulin verkaufte. Dessen Sohn Etienne Dumoulin begann im Jahre 1815 mit dem Bau des Château und legte gleichzeitig Weinberge an. Château Montrose rivalisiert zusammen mit Calon Segur und Cos d´Estournel um den Thron von Saint-Estèphe. Die Reben sind durchschnittlich 45 Jahre alt. Fermentiert wird klassisch in Edelstahltanks, der Ausbau im Barrique erfolgt für 19 Monate. Montrose braucht Zeit, um seine unvergleichliche Delikatesse auszudrücken. In den ersten zehn Jahren ist sein fantastisches Potenzial hinter einer gewissen Strenge versteckt. Im zweiten Jahrzehnt, öffnen sich die Weine, im dritten Jahrzehnt bringen sie das Terroir explosionsartig zum Ausdruck. Um auch noach mehr als 50 Jahren noch für Trinkgenuss zu sorgen. Der Wein wird zu den so genannten „Super-Seconds“ gezählt, würde also die „Premier Cru Classé“ verdienen. Auf Grund des sehr ähnlichen wuchtigen Stils wird der Rotwein auch als „Château Latour von Saint-Estèphe“ bezeichnet. Ein würdiger Abschluss einer sensationellen Bordeaux-Verkostung.

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Text und Fotos: Christian Stöger

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