banner

Bei prachtvollem Herbstwetter lud das Koventikel Wiener Weinberge am 2.10.2021 zum Kulturspaziergang durch die Wiener Innenstadt. 1750 stellte der Italiener Johann Jakob (Gianni) Tarroni vor seinem Kaffeehaus in der Habsburgergasse/Ecke Graben erstmals Tische zum Sitzen unter freiem Himmel auf. Und die musste der Unterkellner, der Piccolo, am Morgen hinaus- und am Abend ins Lokal hereintragen. Der Einfachheit halber wurde der meist junge Bursche im weißen Sakko "Schani" (in Wien übliche Abkürzung für Johann oder Hans) genannt. Und so trug eben der Schani den Gastgarten hinaus.  

IMG 20211002 WA0001

Begonnen hat der Kulturspaziergang aber bei der Albertina. Von der Albrechtsrampe sahen wir hinunter auf den grasgrünen, überdimensionalen Plastikhasen am Dach des Würstelstandes Bitzinger. Hier handelt es sich um den so genannten “Dachhasen“, einem Begriff aus der Zeit der Türkenbelagerung von 1683, als die Wiener Bevölkerung aufgrund der Lebensmittelknappheit verzweifelt nach Nahrung suchte. In der Not landete so manche Hauskatze auf den Mittagstisch, allerdings unter dem geschmackvoller klingenden Pseudonym „Dachhase“. Ein weiterer pinkfarbener blickt von der Albertina Passage neben der Oper auf die Ringstraße. Diese bunten Plastiktiere sind ein cleverer Schachzug der Marketingabteilung des Museums Albertina (siehe Feldhase von Albrecht Dürer).

Weiter ging's entlang der Längsseite des Gebäudes zur (selten) beachteten Metallskulptur des amerikanischen Künstlers George Rickey „Twelve Open Squares“ – eine Art Mobile, das sich im Wind bewegt. Wert € 600.000.--. Kein Schreibfehler ! Carl Djerassi, gebürtiger Wiener mit bulgarisch-jüdischen Wurzeln (1923-2015), der als „Vater“ der Anti-Baby-Pille in die Geschichte eingegangen ist,  war auch großer Kunstfreund. Als Zeichen der Versöhnung mit der Stadt, aus der er 1938 von den Nazis vertrieben worden war, schenkte Djerassi 2008 diese Skulptur der Stadt. Auf dem Podest findet man auf Wunsch des Stifters die berührenden Worte: „Born 1923, Exile 1938, Reconciled 2003“.

Kunstmobile 2 

Nun ging es die Rampe bergab zur großen Brunnenanlage (Albrechtsbrunnen)  – aus weißem Carraramarmor -  mit Danubius und Vindobona, rechts und links flankiert von Allegorien der Flüsse Traun, Enns, Raab, Salzach, Mur (in Knabengestalt). An der Ecke des Burggartens zum Durchgang in die Neue Burg dann noch die beiden Großstatuen Drau und Inn in Erwachsenengestalt. Zuvor erfuhren wir nach am Weg vorbei am Hotel Sacher, dass hier jährlich 360.000 Torten gebacken werden, die Produktion ist allerdings längst in der Peripherie angesiedelt. Im Betrieb gibt es eine Dame, die händisch das Eiklar vom Eigelb trennt. Hier durften wir schätzen wie viele Eier denn für die Original-Sacher-Torte getrennt werden: es sind je nach Saison zwischen 5.000 und 18.000 Stück täglich.  

Vorbei an den Parlamentscontainern fiel im den Kapellenhof der Blick auf den Chorabschluß der Burgkapelle. Die (evtl. 1421?) erbaute Kapelle existiert nach wie vor, aber durch den im 16. Jh. erfolgten Umbau verschwindet sie fast total, nur eben dieser Teil ist sichtbar.

Hofburgkapelle

Wir passierten die Zehrgadenstiege – sie erinnert an die in der Hofburg verzehrten Lebensmittel , die hier für 2000 Hofbedienstete hineingetragen wurden - und kamen in den Schweizerhof. Dort befindet sich der Eingang zur Schatzkammer, eine der großartigsten geschichtlichen Sammlungen der Welt. Auch konnte man von hier aus einen Blick auf den Kirchturm der Kapelle werfen. Beim Durchgang des Schweizertores sahen wir die Vorrichtungen der Zugbrücke, Teile des Burggrabens und gelangten so in den Inneren Burghof.

20211002 112434

Auf den achteckigen Türmchen der Amalienburg befindet sich eine ausgetüftelte Messstation. Eine Wetterfahne, eine Sonnenuhr, eine gewöhnliche Uhr sowie eine  Mondphasenuhr. Von letzterer ist eine große Kugel zu sehen, die sich um die eigene Achse dreht und dabei die exakte Mondphase anzeigt. Der gelbe Bereich entspricht der Form des Mondes, der blaue mit den Sternen symbolisiert den Nachthimmel. Sie besteht seit 400 Jahren (unter Kaiser Rudolf II) und zeigt fehlerlos die verschiedenen Phasen des Mondes an.  

Weiter ging's über das Michaelertor, wo wir erkannten, dass es früher Linksverkehr gab. Denn bei den Seiteneingängen zeigen zwei Hochreliefs jeweils einen hoch zu Ross sitzenden römischen Kaiser. Die Abbildung mit der Inschrift „Adventus Augusti“ – Ankunft des Kaisers – weist in Richtung Innerer Burghof und befindet sich direkt neben der Hofreitschule. Und sie zeigt den Kaiser auf der linken Straßenseite reitend, während gegenüber bei der Darstellung mit dem Titel „Profectio Augusti“ – Abreise des Kaisers – das Pferd in Richtung Michaelerplatz zu traben scheint -  genau gegengleich zur heutigen Fahrtrichtung. Bis 1938 hat sich in Wien tatsächlich der Linksverkehr gehalten.

Wir erreichen den Michaelerplatz und nun fiel unser Blick   auf eines der wichtigsten Wiener Gebäude des frühen 20. Jh. Das Haus Goldman & Salatsch von Adolf Loos, ein Eisenbeton-Skelettbau. Der Bau, frei von Dekorelementen – das Haus ohne Augenbrauen – löste einen Skandal aus. Die schlichte Fassade ohne jeglichen Fensterschmuck erregte die Gemüter. Seitlich des Petersplatzes befindet sich übrigens der kälteste Ort der Innenstadt. Kein Sonnenstrahl erreicht je die rechte Ecke des Platzes. Seit dem Mittelalter waren hier die sogenannten Eisner zu Hause. In den tiefen Kellern lagerten sie in den warmen Monaten Eisblöcke, die im Winter aus der zugefrorenen Donau geschnitten worden waren. Ein großer Bau der Gründerzeit zwischen Goldschmied- und Freisingergasse steht noch.  Bei genauem Hinsehen kann man darauf die Inschrift „Zum Eisgrübl“ entdecken.

20211002 115734

Am Stephansplatz angelangt wurde die Frage: Warum stinkt es in der U –Bahn- Station immer so ? – wie folgt beantwortet: In den fünf unterirdischen Stockwerken wurde in den 1970er-Jahren zur Verfestigung des Bodens unterhalb des Stephansdomes ein Mittel verwendet, das bei wärmeren Temperaturen durch eine chemische Reaktion zur Entstehung von Buttersäure führt. Diese tritt mit dem Grundwasser aus und ist für den Geruch verantwortlich. Gar nicht unangenehm war dann der Geruch im historischen Lokal „Zu den drei Hacken“ , wo zum Abschluss der Führung unverfälschte Gasthauskultur genossen wurde. Pro Vino et Sodalitate .

Text und Fotos: Karl Seidelmann

Aktuelle Termine

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.